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Einstieg in die Astronomie mit dem Fernglas
Verfasst von Rainer Gerhardsam 31.10.2006um 18:31 Uhr.

In Astronomie-Foren wird sehr oft die Frage gestellt, mit welchem Teleskop man denn anfangen möge. Vielen Einsteigern schwebt dabei oft ein Gerät mit GoTo-Steuerung vor. Oft erhofft man sich davon, dass die Objekte im Himmel von selbst angefahren werden und man so keine wirkliche Kenntnis des Himmels benötigt. Dieser Eindruck ist aber trügerisch. Das GoTo muss nämlich jedes Mal am Himmel ausgerichtet werden, und dazu muss man zumindest die hellsten Sterne auffinden können. Darüber hinaus meinen viele Hobby-Astronomen, dass ein GoTo-System den Spaß am Finden nimmt. Auch ich persönlich habe richtige Erfolgserlebnisse nur dann, wenn ich ein Objekt "manuell" im Himmel finde und einstellen kann. Wenn ich mit dem GoTo "den Himmel abklappere" beschäftige ich persönlich mich nicht mehr so eingehend mit den Objekten, was den Spaß deutlich reduziert. Aber damit soll es dann auch genug zum Thema "GoTo" sein - eigentlich geht es hier ja um Ferngläser.

Ein Fernglas ist meiner Meinung nach das ideale Einstiegs-Beobachtungsgerät. Es sollte die zweite Anschaffung sein, die jeder angehende Amateur tätigt. Warum die Zweite? Nun, die Erste sollte eine gute Sternkarte oder ein guter Sternatlas sein - denn die sind unverzichtbar, um sich überhaupt am Himmel auszukennen.

Die beobachtende Hobby-Astronomie setzt eine gewisse Mindestkenntnis des Sternhimmels voraus. Man sollte sich also zunächst einmal mit den Sternbildern vertraut machen. Dabei kann man sich sicherlich am Anfang auf die bekannteren und leichter zu identifizierenden konzentrieren (z.B. großer und kleiner Wagen, Cassiopeia, Stier, Pegasus, ...). Kennt man die erst einmal, kann man sich von dort aus zur Entdeckung der weniger leicht zu findenden aufmachen. Für das Beobachten der Sternbilder benötigt man außer der Sternkarte noch keinerlei Hilfsmittel. Die eigenen Augen, ein hinreichend dunkler Himmel - und Geduld (!) sollten reichen. Nützlich ist darüber hinaus noch eine rot leuchtende Taschenlampe. Damit kann man die Sternkarte betrachten, ohne die Nachtadaption der Augen zu stören.

Nachdem man sich so einige Abende lang die (wichtigsten) Sternbilder eingeprägt hat, möchte man wahrscheinlich doch etwas mehr sehen. Hier kommt das Fernglas ins Spiel. Es muss gar keines dieser vielen hundert Euro teueren "Hammergeräte" sein, die so verlockend in Astronomie-Zeitschriften beworben werden.. Es reicht ein "ganz normales" 8x40, 8x50, 10x50 oder ähnliches Glas. Die Objektivöffnung (zweite Zahl) sollte allerdings möglichst nicht unter 40mm liegen, die Vergrößerung (erste Zahl) nicht über 10. Es gibt auch Zoom-Gläser mit unterschiedlicher Vergrößerung. Die kann man durchaus verwenden. Für astronomische Beobachtungen wird man es als Einsteiger und ohne Stativ im Regelfall sinnvollerweise bei der niedrigsten Vergrößerung belassen. Höhere Vergrößerungen als 10fach wird man nicht hinreichend verwacklungsfrei halten. Dazu braucht man dann ein Stativ sowie einen entsprechenden Adapter für das Fernglas. Soll das was taugen, wird es schon wieder teuerer. Außerdem ist das Handling des Stativs für den Anfänger schon wieder zusätzlicher Aufwand. Daher rate ich davon ab.

Brauchbare Ferngläser müssen nicht viel kosten. Oft ist im Haushalt noch ein altes Glas vorhanden, das nur gefunden und entstaubt werden muss. Ist das nicht der Fall, bekommt man es (gerade um die Weihnachtszeit) beim Discounter für um die 20 Euro. Natürlich gibt es bei den Ferngläsern Qualitätsunterschiede - die wird man als Anfänger aber oft eine sehr lange Zeit nicht bemerken. Bei 20 Euro kann man also fast nichts falsch machen.

Einige Astro-Kollegen weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass es sinnvoll sein kann, direkt etwas mehr auszugeben. Im Bereich von 50 bis 100 Euro finden sich gute Zeiss, Nikkon oder andere Qualitätsgläser bei diversen Online-Auktionsplattformen. Auch bieten viele Astronomie-Händler in diesem Preisbereich sehr brauchbare Gläser an. Gleiches gilt oft auch für den heimischen Optiker. Bei Teleskopen bin ich sehr skeptisch gegenüber nicht auf Astronomie spezialisierten Optikern, bei Ferngläsern sollte aber eigentlich jeder vernünftige Optiker auch eine brauchbare Beratung leisten. Bleibt die Frage, warum man direkt ein teureres Glas kaufen sollte. Die Antwort ist, dass man dann wahrscheinlich ein "Glas für's Leben" erstanden hat. Bei einem Billig-Glas steht irgendwann sicherlich einmal die Ablösung an. Aber, wie gesagt: auch mit dem billigen Glas kann man sicherlich gerade als Einsteiger sehr lange auskommen. Und wenn man noch nicht so recht weiß, ob man an der Astronomie gefallen findet oder ein kleines Budget hat, dann ist man auch mit dem Billig-Glas gut beraten. Entscheidet man sich für den Discounter, sollte man ruhig mehrere Gläser auspacken und durchschauen. Gerade bei den billigen Ferngläsern gibt es eine breite Serienstreuung. Da zahlt es sich aus, einige Gläser durchzuprobieren. Man nehme das, was einem persönlich den besten optischen Eindruck vermittelt.

Wichtig noch zu billigen (oder preiswerten? ;)) Zoom-Gläsern: eine hohe Vergrößerung erfordert eine besonders gute Justierung der Optik. Gerade die ist beim billigen Gerät nicht unbedingt gegeben. Auch das ist ein Grund, bei Zoom-Gläsern nur die niedrigste Vergrößerung zu wählen.

Egal ob billig oder teuer: Das kleine Fernglas gestattet den Blick auf wesentlich mehr Sterne als das bloße Auge. Im kleinen Wagen sieht man viele Sterne beispielsweise nur dann, wenn man über einen halbwegs dunklen Himmel verfügt. Im Fernglas erkennt man meist alle. Mit dem Fernglas kann ich mir also die Sternbilder mit allen Ihren Sternen besser einprägen.

Ein Vorteil des Fernglases ist, dass man nur noch einen deutlich kleineren Himmelsausschnitt (das Gesichtsfeld) sieht also mit bloßem Auge. Das ist deswegen ein Vorteil, weil man sich an diese kleinen Ausschnitte gewöhnen muss. Das Gesichtsfeld im Teleskop ist noch wesentlich kleiner. Im Fernglas hat man noch einen vergleichsweise großen Überblick. Manche Objekte (z.B. die Plejaden) kann man sogar nur im Fernglas in voller Pracht bewundern. Das Gesichtsfeld des Fernglases entspricht annähernd dem des Suchers ("vernünftige" Sucher haben z. B. 8x50 oder 9x50 - 6x30 oder ähnliches taugt nur zum Suchen, nicht aber zum Finden ;)). Durch die Benutzung des Fernglases gewöhnt man sich also bereits an den Anblick, den man später im Sucherfernrohr haben wird. Ich halte das für einen entscheidenden Vorteil. Es erspart einem auch jede Menge Frust, sonst steht man dann zum ersten Mal mit dem eigenen Teleskop draußen und findet als Sucher-Ungeübter nichts. Ich selbst habe übrigens nicht mit dem Fernglas angefangen und kenne diesen Frust daher nur zu gut. Nach meinen ersten Misserfolgen bin ich nur mit dem Sucher bewaffnet "über den Himmel spaziert" und habe dabei Gesichtsfeld und Navigation mit dem Sucher gelernt. Beides hätte ich auch schon mit dem Fernglas üben können - wenn ich nur damit angefangen hätte.

Womit wir beim zweiten Punkt sind: man kann eben auch die Navigation, "Starhopping" genannt,  mit dem Fernglas erlernen. Dabei geht es darum, das man sich von Stern zu Stern "hangelt", um zu einem bestimmten Punkt im Himmel zu gelangen. Das muss man z.B. machen, um alle Sterne eines Sternbilds im Fernglas zu sehen. Denn Sternbilder nehmen sehr viel mehr Platz am Himmel ein, als im Gesichtsfeld des Fernglases zur Verfügung steht. Starhopping hört sich einfach an, will aber geübt sein. Sonst findet man sich nämlich schnell in Himmelsregionen wieder, in die man gar nicht wollte (auch hier spreche ich aus Erfahrung ;)). Es ist ein tolles Erfolgserlebnis, wenn Starhopping mit dem Fernglas auf einmal funktioniert (und zwar wiederholbar und an verschiedenen Objekten). Wenn man es erst einmal beherrscht, kann man sich auch an hellere Deep-Sky Objekte heran trauen. Auch die erkennt man im Fernglas, zumindest als verwaschene Nebelflecken. Diese Objekte zu finden macht sehr viel Spaß. Und später am Teleskop weiß man, wonach man im Sucher Ausschau halten muss. Ein weiteres tolles Objekt für das Fernglas ist der Mond. Dort lassen sich bereits viele Details erkennen. Nicht so toll sind Planeten. Am ehesten kann man Jupiter samt den galileischen Monden betrachten. Das ist es dann aber auch schon gewesen. Am Planeten ist Vergrößerung wichtig und die bietet das Fernglas nicht. Ich persönlich finde es unergiebig, mit dem Fernglas auf Planetenjagd zu gehen.

Wie man sieht, kann man also alles außer Planeten schon sehr gut mit dem Fernglas beobachten. Neben der Übung bringt das Fernglas dem angehenden Hobby-Astronomen aber noch etwas weiteres Wichtiges mit: es hilft, die eigene Begeisterung für Astronomie zu prüfen. Leider sind die Gerätschaften (Teleskope, Okulare, ...) nicht gerade billig. Bevor man "so richtig" zulangt, sollte man also schon wissen, ob man sich voraussichtlich dauerhaft für Astronomie interessiert. Viele Einsteiger denken bei "Astronomie" an hoch auflösende Hubble-Bilder. Das ist gar nicht verwunderlich. Schließlich sind solche Bilder sogar in der Werbung für billigste Kaufhaus-Teleskope zu finden. Wer Hubble-Qualität erwartet, wird beim ersten Blick durchs Teleskop bitter enttäuscht sein. Denn das, was man dort sieht, liegt näher an dem Bild im Fernglas als an Hubble. Nebel bleiben nebelig, ein richtig buntes Farbmeer wird man mit eigenen Augen im eigenen Teleskop wohl eher selten sehen. Auch die feinen Strukturen in vielen Galaxien sieht man erst nach viel Übung und mit entsprechend großem (und teueren!) Gerät und dunklem Himmel.

Die Freude am Hobby Astronomie ist also nicht die Weltraumreise á la Hubble. Es geht vielmehr darum, die Strukturen selbst zu finden, selbst zu sehen und sich auch mit den beobachteten Objekten auseinander zu setzen. Das sind zumindest meine persönlichen Hauptmotivationen (Astro-Fotografen haben offensichtlich auch ein großes Interesse an Bildgewinnung und -bearbeitung). Insgesamt ist in der (Amateur-)Astronomie sehr viel Geduld gefragt. Außerdem sieht man Sterne nur im Dunklen - am besten natürlich in klaren, bitter kalten Winternächten. Abgesehen vom Spätsommer und Herbst ist die Astronomie also durchaus auch ein Hobby, bei dem man viel im Kalten steht.. Manche Leute merken leider zu spät, dass ihnen das nicht zusagt. Nämlich dann, wenn sie schon viel Geld für Teleskop und Zubehör ausgegeben haben. Wer mit dem Fernglas anfängt, dem bleibt dieses Schicksal erspart. Wie wir gesehen haben, bietet das Fernglas schon ein vollwertiges "astronomisches Beobachtungsprogramm", wenn auch mit weniger schön aufgelösten Objekten. Die Freude des am Himmel Zurechtfindens und der Beschäftigung mit den Objekten ist beim Fernglas eigentlich genau so groß wie beim Teleskop. Von daher bin ich 'mal so mutig zu sagen: wer mit dem Fernglas "dabei bleibt", wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch dauerhaft Freude an der Astronomie finden. Auch der Umkehrschluss ist meiner Meinung nach richtig: wer mit dem Fernglas keinen Spaß an der Astronomie findet, der wird wahrscheinlich auch mit einem großen Teleskop nicht lange dabei bleiben. Das Fernglas ist also auch ein schönes Mittel, um das eigene Interesse an der Astronomie kostengünstig auf die Probe zu stellen.

An dieser Stelle werfen wiederum einige Astro-Kollegen ein, dass das Fernglas eventuell zu wenig "Aha-Erlebnis" bietet, weil die Objekte eben doch nicht so klar erkennbar sind wie im Teleskop. Auch dieser Einwand ist sicherlich richtig. Ich persönlich bin allerdings der Meinung, dass das "Aha-Erlebnis" etwas sehr subjektives ist. Ausgehend von den bekannten Hubble-Bildern (oder denen von Großsternwarten) ist der Einsteiger sehr oft bitter enttäuscht, wenn er zum ersten Mal durch das Fernglas schaut (und das erst recht, wenn es sein soeben neu erworbenes ist...). Selbst, wenn man sich vorher mit Einsteigerliteratur beschäftigt hat, ist dieses Problem nicht gänzlich gelöst: auch die Fotografien in diesen Werken sind nun einmal Fotografieren. Die Autoren verwenden dummerweise oft auch noch Aufnahmen von großen Teleskopen, die ich dann im typischen Einsteigergerät gar nicht wieder erkenne. Hinzu kommt, dass man visuell nun eben einen anderen Eindruck hat. Und wer ungeübt ist, sieht ohnehin zu Anfang sehr viel weniger.

So wie ich das erlebt habe, sind der Saturn, einige wenige Sternhaufen (z.B. M13), Doppelsterne und wohl auch der Orion-Nebel geeignet, das "Aha-Erlebnis" beim astronomisch bisher nicht bewanderten hervor zu rufen. Selbst mit Jupiter und seinen Monden wird es teilweise schon schwierig. Ich persönlich halte es daher nicht unbedingt für sinnvoll, wegen dieser vergleichsweise wenigen Objekte direkt mit einem Teleskop anzufangen. Außerdem darf man die Schwierigkeiten beim Auffinden im Teleskop nicht unterschätzen, die können einem Anfänger den Spaß an der Astronomie schon heftig verderben (zumindest ist das meine persönliche Erfahrung ;)).

Das Fernglas ist meiner Meinung nach das ideale "Einstiegsgerät". Bei niedrigsten Kosten ermöglicht es

  • kennen lernen des Sternhimmels
  • erlernen des Starhopping
  • Freude an den gefundenen Objekten
  • einen schönen Einblick, was einen am Himmel erwartet
  • Übung der notwendigen Geduld
  • Das Fernglas wird für einen Hobbyastronomen nie überflüssig, es ist auch neben großen und teueren Teleskopen sehr nützlich.

Die ideale Kombination zum Fernglas ist natürlich der Besuch von Volkssternwarten oder Hobby-Astronomen in der Umgebung (viele von uns haben einen wahren "missionarischen Eifer", daher sollte es problemlos möglich sein, zur Beobachtung eingeladen zu werden). Da schaut man dann durch möglichst viele verschiedene Teleskope (das bringt auch die "Aha-Erlebnisse") und holt sich Tipps. Wenn dann der Kauf des ersten eigenen Teleskops ansteht, weiß man schon sehr genau, wofür man sich interessiert und kennt auch schon einige Geräte. Damit sollte die Entscheidung für ein Teleskop sehr viel einfacher fallen. Auch das Risiko eines Fehlkaufs dürfte dann wesentlich geringer sein. Wie man andere Hobby-Astronomen aus der Umgebung findet, habe ich in meinem Artikel "Wo kann ich Mitbeobachten?" beschrieben.

Ich hoffe, diese Anregungen sind hilfreich für den Anfang in der Astronomie. Ich habe leider direkt mit dem Teleskop angefangen, war sehr ungeduldig und habe dann relativ "hart" lernen müssen, dass kleine Schritte sich rechnen. In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß an der Astronomie und einen allzeit sternklaren Himmel!

Für Fragen oder Kommentare bin ich gerne unter rgerhards@adiscon.com zu erreichen.

Rainer Gerhards

Ich möchte mich ganz besonders bei den folgenden Sternfreunden bedanken, die mir im Astrotreff eine Reihe von schönen Anregungen zu diesem Artikel gegeben haben: Michael55plus, Alpha SCO, Mootz GMS

Copyright (C) 2006 Rainer Gerhards
Fotos: Rainer Gerhards
Letzte Aktualisierung: 2006-11-05