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Space Shuttle Start - Ein Erlebnis
Verfasst von Rainer Gerhardsam 14.01.2009um 08:20 Uhr.

Eigentlich wollte ich schon längst über den Höhepunkt meiner Reise berichten. Aber dieses Unterfangen haben Rückflug und Zeitumstellung zunichte gemacht. Nun aber ist es vollbracht: lesen sie über die faszinierendsten drei Minuten (!) meiner „Shuttle-Start-Reise“.

Neun Minuten vor dem Start beginnt der endgültige Countdown. Dieser Zeitpunkt wird als T-9 bezeichnet. Ab hier gibt es keine geplanten Unterbrechungen mehr, nur noch den Startabbruch. Diese neun Minuten habe ich in höchster Spannung durchlebt. Sie erinnern sich vielleicht noch: das Wetter machte einen Start recht unwahrscheinlich.

Bei T-10 Sekunden war ich mir allerdings sicher, dass der Start stattfinden würde. Nur ein technischer Defekt hätte ihn jetzt noch verhindern können. Ich stand auf dem Nasa Causeway, gut zehn Kilometer vom Shuttle entfernt. Näher kommen Besucher nicht heran. Aber selbst in dieser „Nähe“ ist die Discovery nicht wirklich im Detail zu erkennen. Ich hatte meine Fotokamera mit Zoom-Objektiv in höchster Vergrößerung auf einem Stativ aufgebaut. Ja, Fotos wollte ich machen. Aber, nein, ablenken lassen sollte ich mich davon nicht. Keinesfalls mochte ich den Start durch den Sucher der Kamera erleben (was sich übrigens als weise Entscheidung heraus stellte).

Nun aber, wenige Sekunden vor dem Start, wagte ich doch den Blick durch den Sucher. Nur so konnte ich gut erkennen, was in wenigen Sekunden passieren würde. … sechs, fünf, vier … und los geht es – die Haupttriebwerke des Shuttles haben gezündet. Das geschieht immer vier Sekunden vor dem eigentlichen Start. Da, wo gerade noch der Frieden eines Naturschutzgebietes herrschte, brach die Hölle aus. Gleißendes Feuer schoss aus den drei Haupttriebwerken. Gleichzeitig (und eigentlich schon kurz zuvor), wurden unvorstellbare Mengen Wassers in den Graben unterhalb der Startrampe gepumpt. Wasser, das nicht zum löschen dient. Es soll den Schall reduzieren. Schall, der sonst so stark ist, dass er die Startrampe und womöglich den Shuttle beschädigen könnte. Hier auf dem Causeway hört man allerdings noch nichts. Die Geräusche benötigen fast 30 Sekunden um die Entfernung zu überbrücken. Zunächst bleibt es also beim visuellen Erlebnis – und das ist beeindruckend genug (siehe Bild oben links).

Zunächst allerdings sieht man erst einmal gar nichts mehr. Die heißen Gase kochen das Wasser, verdunsten es. Eine riesige Dampfwolke steigt auf und verdeckt den Shuttle. Selbst die Tankspitze verschwindet in der künstlichen Wolke.

Und dann – ein rötlicher Schein erscheint zaghaft am oberen Wolkenrand. Fast unmittelbar darauf taucht die Spitze des externen Tanks aus dem Dampf auf. Dann die Spitzen der Booster und schließlich auch der eigentlichen Orbiter. Der rote Schein hat sich mittlerweile zu einem riesigen Feuerwerk entwickelt. Und doch ist das erst ein Vorgeschmack. Als die Discovery nach wenigen Sekunden schließlich ganz aus der Wolke heraus gleitet, breitet sich ein wahres Höllenfeuer aus. Ein solches Inferno habe ich noch nicht erlebt. Es ist fast, als würde man in die Sonne schauen. Ich bin geblendet vom Ausstoß der Booster, muss wegschauen. Die Haupttriebwerke sind gar nicht mehr sichtbar.

Jetzt wird mir auch schlagartig klar, warum man diese Flammen 300 Kilometer weit sehen kann. Es gibt wohl kaum ein anderes von Menschenhand geschaffenes Feuer solchen Ausmaßes. Der Shuttle steigt schneller und schneller auf. Die reine weiße Dampfwolke vermischt sich mit den grauen Booster-Abgasen. Und noch ehe man den Anblick richtig begriffen hat, beginnt die Discovery bereits mit dem „Roll Manöver“, einer Drehung um 180 Grad. Ich muss gestehen, dass ich das erst später auf den Fotos bemerke. Zu überwältigend ist das Ereignis. Und immer noch sind nur wenige Sekunden vergangen.

Dann folgt ein wenig Zeit zum Luftholen: das Wetter hat uns eine Wolkendecke beschert. Fast schon gnädig verdeckt sie eine Zeit lang den Shuttle auf seinem Ritt in den Himmel. Dann, immer wieder, sieht man den Feuerstrahl. Der Shuttle selbst wird mit bloßem Auge immer schlechter erkennbar. Zu schnell bewegt er sich von mir weg.

Dafür hört man nun den Schall. Kennen sie das Geräusch eines tief fliegenden Militärflugzeugs? Ganz ähnlich, nur noch etwas grollender, hört sich der Shuttle an. Und das aus zehn Kilometer Entfernung und noch dazu bei Gegenwind. So ist es schon sehr laut. Käme der Wind aus der anderen Richtung, wäre es wohl ohrenbetäubend.

So langsam nehme ich auch meine Umgebung wieder wahr. Auf dem Causeway gibt es lautstarke Begeisterungsrufe. Wohl alle sind der Faszination des Starts erlegen. Gebannt schauen tausende von Menschen, wie sich diese Flugmaschine höher und höher in den Himmel schraubt. Das Booster-Feuer sieht man mittlerweile nur noch schwach. Dafür hat man nun den Eindruck, der Shuttle fahre auf einer von ihm selbst geschaffenen Straße aus Watte in den Weltraum. Immer weiter und weiter wird diese Straße gebaut, hinein in Bereiche in denen gerade noch blauer Himmel war.

Dann: Booster Separation – die externen Feststoffraketen werden abgesprengt. Die „Watteproduktion“ hört mit einem Male auf. Nun brennen nur noch die Haupttriebwerke und man merkt, dass diese wesentlich weniger Schub liefern als die Booster. Der Aufstieg des Shuttles wird weniger gut verfolgbar. Die Abgase der Haupttriebwerke sieht man kaum noch. „Komisch,“, schießt es mir durch den Kopf, „dass die überhaupt Haupttriebwerke heißen – eigentlich sind es doch nur Hilfstriebwerke und die Booster leisten die meiste Arbeit“.

Aber viel Zeit zum Denken bleibt nicht. Das Hauptschauspiel ist vorbei. Die Lautsprecherdurchsagen fordern zur Rückkehr zum Bus auf. Der Shuttle fliegt nun seit fast vier Minuten. In weiteren vier Minuten wird er sich im Orbit befinden – und ich noch nicht einmal im Bus. Sichtbar ist er jetzt kaum noch. Zu groß ist die Entfernung. Außerdem schieben sich wieder leichte Wolken in die Sichtlinie.

Auf dem Causeway ist es mittlerweile sehr ruhig geworden. Wohl tief beeindruckt packen alle ihre Sachen, gehen zum Bus. Gelegentlich hört man noch einige Diskussionen. Aber die meisten sind damit beschäftigt das Gesehene zu „verdauen“.

Auch mich befällt eine große Freude, aber auch Nachdenklichkeit. Nun habe ich ihn endlich gesehen, meinen ersten Shuttle-Start. Live und aus der Nähe. Mit eigenen Augen. Ein außergewöhnliches Schauspiel, aber auch eines, das schnell vorbei ist. War das denn nun den ganzen Aufwand wert? Ja, aber sicher doch! Und, ich muss gestehen: es hat Sucht-Potential. Nur zu gerne würde ich es nochmals erleben …